Eltern von Anni
Eltern von Anni

Ach ja, ich wollte noch einiges über meine Schwiegermutter - Annis Mutter - sagen. Es stimmt, sie war wirklich warmherzig und gütig! Geld hat mein Schwiegervater - Annis Vater - nicht viel verdient. Trotzdem er im Moor hart und viel geschuftet hat. Er arbeitete für eine Kleinstunternehmerin, die ihm den gegrabenen und getrockneten Torf für einen reellen und fairen Preis abnehmen wollte. Aber das hat sie leider nicht. Es kann aber auch sein, dass sie nicht mit Absicht meinen Schwiegervater auf dem getrockneten Weißtorf sitzen ließ, nur um später den Preis drücken zu können. Weil er über kurz oder lang ja doch Geld haben musste!

 

Um wenigstens etwas Geld nach Hause bringen zu können, musste er den Torf buchstäblich verschleudern. Trotzdem hat meine Schwiegermutter - die Anrede oder die Titulierung “Schwiegermutter” mag ich überhaupt nicht - noch von dem wenigen Geld etwas abgezweigt, damit sie für Annis Aussteuer einige schöne Sachen kaufen konnte.

 

Ein anderes Beispiel ihrer Gutherzigkeit: Vor der Währungsumstellung, also in der lebensmittelknappen Zeit, kam an den großen Feiertagen wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten die halbe Verwandtschaft anmarschiert um sich bei Annis Mutter den Bauch voll zu schlagen, obwohl die im Hause selbst kaum satt wurden.

Oma & Opa Kröger
Oma & Opa Kröger

Aber da gab es in ihrem Leben ein Ereignis, das sie sicherlich niemals vergessen hat! Es war im Jahre 1932. Viele Männer hatten keine Arbeit. Annis Vater konnte auch keine Arbeit finden. Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld oder irgendeine wirklich nennenswerte Unterstützung wie Wohngeld, Kindergeld, wie es heute selbstverständlich ist, die gab es vor der Machtergreifung Hitlers nicht. Und das wenige Geld, das diesen Familien gezahlt wurde reichte gerade für die Miete. Zum Leben blieb kaum etwas übrig. Noch mal, es war 1932 und der Heilige Abend. Die Familie Kröger hatte kaum noch Lebensmittel im Hause. Damit meine ich die lebensnotwendigen Grundnahrungsmittel wie Brot, Mehl, Zucker, etwas Fleisch oder andere Fette.

 

Geschenke für die Kinder, nein die gab es nicht. Das heißt, die alte Puppe bekam aus einem alten Kleiderstoff ein neues Kleid genäht und für die Jungs wurde das alte Fahrrad repariert und gestrichen. Die kleine Holzschiebkarre und der Bollerwagen, die wurden auch repariert und erhielten ebenfalls einen neuen Anstrich.

 

Krögers Mutter saß im Wohnzimmer. Sie weinte. Nicht laut aber die Tränen liefen ihr über die Wangen. Die kleine Anni sah das die Mama weinte und sie fragte: “Mama worum daus du schrein?” Die Mama sagte: “Kind wi hebt nich mehr wat tau äten in Schapp.” Und das Kind erwiderte: “Maokt doch nichts. Dat Christkind kumt doch gliks.” Die besorgte Mutter antwortete: “Joh Anni, hei schall woll bald bi us wehn!” Kaum hatte sie es gesagt, da klopfte jemand an die hintere Eingangstür. Früher war es so und auch heute noch, wer an die Nebentür klopft, das ist in der Regel ein Nachbar oder ein guter Bekannter. Krögers Vater sagte zu Heinz, seinem Erstgeborenen: “Heinz gor du eis hen un maok die Dören open!” Aber Heinz und auch seine jüngeren Geschwister riefen wie aus einem Munde: “Ik nich. Dat Christkind is dat!” Der Familienvorstand lächelte etwas und er ging zur Tür, öffnete sie, aber nicht das Christkind trat ein, sondern der Onkel von Krögers Mutter kam herein und sagte zu Krögers Vater: “Gäv jaun Heinz die Schuwkohrn. Ick nähm um kort mit. Hei kumt fort werre trüge!” Heinz nahm die Schiebkarre und beide gingen schweigend durch die Dunkelheit. Angst hatte Heinz nicht. Er kannte den Onkel seiner Mutter sehr gut. Er bewirtschaftete mit seiner Frau, einem Knecht und einer Magd einen Bauernhof.

Gruppenfoto 1953
Gruppenfoto 1953

Weit brauchten die zwei nicht gehen. Vielleicht so 600 Meter. Er ging mit Heinz aber nicht in das Haus, sondern er nahm ihn mit in eine etwas abgelegene Scheune. Der alte Mann zündete mit einem Streichholz eine neben dem Scheunentor stehende Sturmlaterne an. - Eine Sturmlaterne ist eine Petroleumlampe mit der man auch bei Wind und Regen im Freien arbeiten kann. Der Docht ist in einer länglichen Glaskuppel eingeschlossen. Durch herunterdrücken eines kleinen Hebels lässt sich das Glasgehäuse hochschieben und arretieren. Den in einer Fassung steckenden Docht kann man nun anzünden. Drückt der Benutzer noch einmal auf den Hebel, dann sinkt die schützende Kuppel nach unten und die Lampe ist gebrauchsfertig. - Der Bauer räumte mittels einer Forke etwas Heu beiseite bis ein kleines Lebensmittellager zum Vorschein kam! Heinz traute seinen Augen nicht. Was er da sah ließ sein Herz doch merklich schneller schlagen. Aber ihm blieb keine Zeit sich zu wundern. Der gute Onkel sagte zu Hinz: “Tau, kiek nich lang. Helb leiver mit umpacken!” Beide packten nun die satt machenden Köstlichkeiten auf die hölzerne Schiebkarre. Zuerst zwei 20 Pfund Schwarzbrote, dann in Tüten einige Kilo Zucker und in Leinensäcken Weizen und Buchweizenmehl. Margarine, sogar gute Butter, Talg, Speck, geräucherte Mettwürste, Punkelbrot, Prütt, mehrere Stücke Frischfleisch, sogar einige geräucherte Leber- und Blutwürste fehlten nicht. Zum Schluss stellte das Christkind einen Karton gefüllt mit Äpfeln, Pfeffernüssen, Nüsse, Bonbons, Apfelsinen und einige Tafeln Schokolade obendrauf.

 

Dann nahm der Bauer die Schiebkarre und zog sie rückwärtsgehend aus der mit Heu gefüllten Scheune. Zuvor löschte er jedoch noch in der Scheune die Sturmlaterne. Draußen sagte sein Onkel zu ihm: “Ick schuf di Kohrn bit up denn Weg. Un dann sei tau, dat du henkümst. Fall di aower nich. Un säg jau Mam un Papen ich wünsch jau altausomen frohe Wiehnachten. Un ansonsten hohlt jaun Mund över dit wark!”

Paul, Oma, Anni, Franz 1953
Paul, Oma, Anni, Franz 1953

 

 

Heinz übernahm die Schiebkarre und schob sie so schnell es ihm eben möglich war nach Hause. Und das war in der Dunkelheit gar nicht so einfach. Einen Fuß- oder Fahrradweg gab es nicht und eine befestigte Straße bestimmt nicht. Heinz musste man sehen, dass er mit der Karre in einem von Pferden gezogenen Ackerwagen hinterlassenen Spuren blieb. Das war nicht einfach. Er selbst musste ebenfalls durch die Spurrinne gehen. Einige Male, als er mit dem Karrenrad die Spur verlor wäre ihm die kostbare Fracht bald umgekippt. Trotzdem pfiff er vor Freude ein Weihnachtslied leise vor sich hin. Obschon der Himmel Wolken verhangen und der Mond sich nur selten blicken ließ hatten sich seine Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnt, so dass er gut Zuhause ankam.

 

Neben der Seitentür stellte Heinz die Schiebkarre ab und stürmte hastig ins Haus. Heinz nahm sich nicht einmal die Zeit die Tür hinter sich zu schließen. Noch auf der Türschwelle stehend rief er: “Kiekt eis bloß tau wat hei mi all mitgäben häv!” Die Eltern standen auf und wollten hinausgehen, aber die jüngeren Kinder waren schon bald schneller draußen wie die Eltern. Ziemlich unsanft blaffte der Vater die Kinder mit den Worten: “Rin int Hus mit jau!” an.

 

Krögers Vater zündete umständlich - so als wenn er Angst hätte - die unentbehrliche Sturmlaterne an und die drei gingen nach draußen. Er sagte nachdem er sich alles genau angesehen hatte: “Is dei Mann verrückt: Dat köhnt wi nich werre gaut maoken!” aber mit Sicherheit konnte die Familie Kröger ein schönes Weihnachtsfest feiern.

 

Als alle gegessen hatten sagte der Hausherr zu den Kindern: “Sammelt die übrig gebliebenen Speisen ein damit sie nicht verkommen!” Sie taten wie er es ihnen geheißen hatte und sie füllten zwölf Körbe voll!

 

Alle die es sahen staunten und riefen: “Gelobt sei Jesus Christus, heute ist uns wirklich und wahrhaft das Christkind geboren!”

 

Am zweiten Weihnachtstag sind die Krögers nach Kolhoffs gegangen und haben sich nicht etwa für das große Geschenk bedankt, jedenfalls nicht mit Worten. Aber die dankbaren Blicke die Krögers Mam und Papen mit dem Bauer wechselten sagten mehr als viele Worte.

 

Warum wohl hat der Bauer die Lebensmittel in einer abgelegenen Scheune versteckt und dann noch mit Heu zugedeckt? Bestimmt nicht weil er die Mäuse und Ratten zu Weihnachten zu einem Festschmaus einladen wollte! Die Lösung ist seine bessere Hälfte. Seine Frau war ein Drachen und sehr geizig obendrein. Sie hätte Gift und Galle gespuckt wenn sie ihren Ehemann auf die Schliche gekommen wäre.